Tierpsychologie für Pferd (und Mensch)

Mein Pferd hat Angst, beißt, schlägt, bockt, scheut, geht durch, hat keine Lust, lässt sich nicht führen, webt, koppt, bleibt nicht allein auf einer Weide....es gibt unzählige Marotten. Liegt dieses Problem auf der Seite des Pferdes oder des Menschen, haben wir eine Verhaltensstörung oder eine Unart des Pferdes?
Und was wichtig ist: Wie können wir helfen?


Unerwünschtes Verhalten oder Verhaltensstörung
Es gibt zum einen unerwünschtes (aber normales) Verhalten darunter versteht man jene Verhaltensweisen, die dem Normalverhalten eines Pferdes entsprechen, aber Probleme bei Haltung und Nutzung der Tiere bereiten.
  • „Mein Pferd geht durch, wenn es sich erschreckt“ (und sich in Sicherheit bringt, um zu überleben)
  • „Mein Pferd lässt sich nicht verladen“ (in die dunkle Höhle, ohne Fluchtmöglichkeit)
Zum anderen gibt es Verhaltensstörungen. In diesen Bereich fallen Verhaltenselemente, die nicht zu den natürlichen Verhalten der Pferde gehören. Oft sind dies Verhaltensweisen die in freier Wildbahn nicht beobachtet werden können.
Hierzu zählt z.B. das Koppen oder stereotype Laufbewegungen.

 

Haltungsbedingungen 

Was sind artgerechte Haltungsbedingungen?

 Ein Großteil der Verhaltensprobleme beim Pferd ist auf inadäquate Haltungsbedingung zurückzuführen. Die Domestikation des Pferdes hat schon vor langer Zeit stattgefunden, mehrere Jahrtausende ist es schon her. Das arttypische Verhalten des Pferdes hat sich im Rahmen der Evolution in vielen Millionen Jahren entwickelt. Im Laufe dieser Entwicklung hat eine ständige Anpassung an die natürliche Umwelt stattgefunden. Diese Verhaltensweisen sind genetisch verankert und haben auch heutzutage bestand. Ein Pferd frisst ca. 16 Stunden täglich (langsame, stetige Futteraufnahme in einer Vorwärtsbewegung).  Das war früher so und heute ist es noch genau so! Viele Pferde bekommen moderne Futtermittel (Kraftfutter, fette Weide, Nahrungsergänzung etc.) mit denen der tägliche Bedarf schnell gedeckt ist. Das genetisch fixierte Fressbedürfnis bleibt aber weiterhin erhalten!

Ein frei lebendes Pferd verbringt 60%des Tages mit Fressen,
20% mit Stehen, 10% mit Liegen, 10% mit Sonstigem (z.B Fellpflege)

Ein Pferd in einer Einzelbox, kein Stroh, Heu rationiert verbringt
16% mit Fressen, 68% mit Stehen, 16% mit Liegen, 0% mit Sonstigem 

Ein Pferd ist ein Herdentier. Wievielen Pferden wird dies ermöglicht? Eine feste Gruppe mit sozialem Gefügen, mit einer eigenen Ordnung, sozialem Verhalten und sozialen Kontakten ist ein natürlicher Bestandteil eines Lebens als Pferd. Dies muss ermöglicht sein.
Die durchschnittliche tägliche Bewegungsdauer bei
Freizeitpferden 40 Minuten/Tag
Hochleistungspfernden 2 Stunden/Tag
Naturnahen Pferden 16 Stunden/Tag (bis zu)
Täglich zurückgelegt Laufstrecke bei
Naturnaher Haltung 6-17 km
24-Stunden Weidehaltung 8.400 m
Offenlaufstall (Funktionsbereiche) 4.800 m
Tagesweide 3.500 m
Offenlaufstall (ohne Funktionsbereich) 1.880 m
Einzelbox ohne Koppelgang    173 m

Dürfen wir von unseren Pferden verlangen in einer Box zu stehen und mit einer Stunde Bewegung pro Tag auszukommen?! Wir müssen Sorge tragen für eine artgerechte Pferdehaltung!
Tiergerechtheit moderner Haltungssysteme wird danach beurteilen, inwieweit diese den Pferden die Ausführung wesentlicher Teile ihres natürlichen Verhaltens ermöglicht.

Das Problem Mensch 

Das Verhältnis zwischen Mensch und Pferd ist oft unklar. Zwar benimmt sich der Mensch aus Sicht des Pferdes auch wie ein Artgenosse, wenn er dieses putzt (soziale Körperpflege). Auf der anderen Seite lässt dieser Mensch aber nicht zu selbst beknabbert zu werden, wie es eigentlich normal wäre.

Auch verbringt er  nicht Tag und Nacht zusammen mit dem Familienverband, wie es ein vollwertiges Gruppenmitglied tun würde. Schlimmer noch, teilweise benimmt sich der Mensch sogar wie ein Angreifer, der sich raubtierartig auf den Rücken des Pferdes zu schwingen versucht oder bestrebt ist, dieses mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an der Flucht zu hindern, statt gemeinsam mit ihm vor möglichen Gefahren davonzulaufen.
Der Mensch ist aus Sicht des Pferdes schwer zu verstehen.
Und mal Hand auf´s Herz. Wer hat sich richtig mit der Sprache der Pferde auseinandergesetzt? Sich viele Stunden eine Pferdeherde angeschaut? Herausgefunden wie sie miteinander umgehen? Wer schaut wirklich gut hin?

Lösung der Probleme
Jeder Fall hat eine andere Geschichte, eine andere Problematik aufzuweisen. Diese gilt es als erstes zu erarbeiten. 
Die Art der Ausbildung, die Haltung, der Umgang, evt. traumatische Erlebnisse sind die ersten Daten, die geprüft werden. Welche konkreten Probleme gibt es? Seit wann bestehen sie? Wie äußern sie sich? Wann treten sie auf? 
Nach Ermittlung der ersten Fakten werden Mensch und Pferd zusammen betrachtet. Wie ist der normale Umgang miteinander? Sind hier schon Auffälligkeiten zu finden? Das Pferd wird vom Boden und wenn möglich auch unter dem Sattel vorgestellt.
Um unterscheiden zu können, ob das Pferd mit einem anderen Menschen die gleichen Probleme hat, übernehme ich häufig die Bodenarbeit und teste einiges an Verhalten durch.
Nach und nach kristallisiert sich ein Ansatz und ein Therapieplan kann erstellt werden.
Dieser Plan gilt für Pferd und Mensch, denn nur wenn auf beiden Seiten ein gutes Verhältnis geschaffen wird, kann ein Problem grundlegend abgestellt werden.
Die Tierpsychologie hilft somit Mensch und Pferd:
  • Die Sprache des Pferdes wird vom Menschen erlernt und verstanden. Der Mensch lernt sich klar und verständlich auszudrücken und zeigt Reaktionen auf die natürlichen Signale des Pferdes. Kommunikation kann stattfinden.
  • Es wird gewaltfrei mit dem Pferd kommuniziert. Der Einsatz von kraftaufwendenden Methoden wie starker Zügeleinsatz, Einsatz von Sporen, Ausbindern oder Schlägen entfällt
  • Das Pferd lernt dem Menschen wieder zu vertrauen, da der Mensch verlässlich und verständlich kommuniziert in einer Sprache, die das Pferd versteht
Das Erlernen der richtigen Kommunikation findet zu Beginn am Besten in einem round pen statt. Durch Bodenarbeit und eingehende Erklärungen ist der Mensch in der Lage, das Pferd zu verstehen und findet schnell einen Zugang zu diesem. Ist eine Grundlage geschaffen, können die erlernten Fähigkeiten vom Boden auf den Sattel transportiert und beim Reiten angewendet werden.